„Wir haben die Aufgabe, die geflüchteten Menschen aus der Ukraine gut aufzunehmen und ihre Versorgung entsprechend sicherzustellen. Es sind vor allem Frauen und Kinder, die bei uns vor dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Schutz suchen und neben der Unterbringung vor allem eine gute psychologische Unterstützung und Angebote in Schule und Kita benötigen. Mit dem Ukraine-Aktionsplan hat die Landesregierung eine umfassende Strategie dazu entworfen. Hessen hilft und erfüllt seinen Teil der Aufgabe, den Bund, Länder und Kommunen in dieser schwierigen Lage zusammen schultern müssen“, fügte die Fraktionsvorsitzende der CDU im Hessischen Landtag, Ines Claus hinzu.
Mathias Wagner, Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN-Landtagsfraktion in Hessen ergänzte: „Wie bei der Flüchtlingskrise 2015 haben wir auch bei den Geflüchteten aus der Ukraine in den vergangenen Wochen eine riesige Hilfsbereitschaft erlebt. Auf die Phase der spontanen Hilfe muss jetzt die strukturelle Unterstützung folgen. Hierfür legen wir mit dem Aktionsplan einen umfassenden Maßnahmenkatalog vor. Die Aufgabe wird alle staatlichen Ebenen fordern, vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen. Die Anforderung für uns ist aber unendlich geringer, als das Leid der Menschen in der Ukraine und der Geflüchteten.“
Ankommen in Hessen erleichtern
Bis Anfang Mai sind laut UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) fast 5,6 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Davon sind bis zum 2. Mai nach Angaben der Bundespolizei über 398.000 Flüchtlinge in Deutschland und über 53.000 Menschen in Hessen angekommen.
„Mit unserem Aktionsplan stellen wir die Weichen, um den Menschen das Ankommen in Hessen nach einer oft langen und traumatischen Flucht zu erleichtern und ihnen eine Perspektive zu geben. Die meisten von Ihnen wollen nach dem Krieg wieder in ihre Heimat zurück. Aber wir alle wissen nicht, wie lange dieser Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine andauert und wie viele Flüchtlinge noch zu uns kommen werden. Unser Aktionsplan nimmt deshalb alle Lebensbereiche der Flüchtlinge in den Blick, von der ersten Unterbringung und Versorgung mit Wohnraum, der Betreuung und Beschulung von Kindern und Jugendlichen, der Integration, der zumeist sehr gut ausgebildeten Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt, aber auch die Sicherheit und medizinische Versorgung der Menschen. Auch Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden wir unterstützen“, erklärte Ministerpräsident Bouffier.
„Auch die Flüchtlingskrise 2015/2016 war eine historische Herausforderung aus der wir gelernt haben. Deshalb sind wir gut vorbereitet und können bei allen Maßnahmen auf bewährte Strukturen und Erfahrungen zurückgreifen und aufbauen“, sagte der Ministerpräsident. Aber es gibt auch Unterschiede zum Jahr 2015. „Während damals vor allem junge Menschen aus Syrien, dem Irak und Südosteuropa nach Deutschland flüchteten, sind es heute vorwiegend Frauen, Kinder und ältere Menschen aus den Großstädten und umkämpften Gebieten in der Ukraine. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihren Aufenthalt in Deutschland unterscheiden sich. Die Europäische Union (EU) hat erstmals seit 2001 die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie in Kraft gesetzt. Demnach erhalten die Flüchtlinge aus der Ukraine eine Aufenthaltserlaubnis in der EU, können visafrei auch in Deutschland einreisen, dürfen hier arbeiten und erhalten Zugang zum Sozial- und Bildungssystem. Dieser Schutzstatus gilt bis zu drei Jahren “, ergänzte der stellvertretende Ministerpräsident Tarek Al-Wazir.
In Hessen gebe es seit Ausbruch des Krieges eine immens große Hilfsbereitschaft von Privatleuten und Ehrenamtlichen bei der Unterbringung und praktischen Unterstützung der Menschen, aber auch die Kommunen leisteten Herausragendes bei deren Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge. „Für diese Anstrengungen danken wir nicht nur ausdrücklich, sondern wir werden sie auch nach Kräften unterstützen“, betonte Bouffier.
Gemeinsame Aufgabe, gemeinsame Anstrengung – Bund muss Mittel erhöhen
Im Landeshaushalt für das Jahr 2022 wurde bereits vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges für ohnehin anfallende flüchtlingsbezogene Kosten finanzielle Vorsorge gleistet. „Diese Mittel werden nun auch für die ukrainischen Flüchtlinge verwendet. Klar ist aber schon jetzt, ausreichen werden sie nicht. Für dieses Jahr rechnen wir mit Mehrkosten von über 200 Millionen Euro. Bei einer angenommenen Zahl von einer Million Flüchtlingen in Deutschland würden nach dem Königsteiner Schlüssel etwa 75.000 Menschen nach Hessen kommen. Spätestens dann werden die Aufwendungen erheblich steigen“, so Bouffier. Für die Landesregierung stehe deshalb fest, dass die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen gelingen kann. „Wir werden nicht nur auf die Kommunalen Spitzenverbände zugehen, sondern sind auch bereits in Gesprächen mit dem Bund. Die Bundesregierung muss ihr finanzielles Engagement erhöhen“, forderten Bouffier und Al-Wazir.
Unterstützung der Kommunen und Schaffung von bezahlbaren Wohnraum
„Die Landesregierung lässt die Kommunen hier nicht alleine und bringt sich auf allen möglichen Ebenen ein. So finanziert das Land den Kommunen unter anderem das Integrationsgeld und zahlt 3.000 Euro für jeden zugewiesenen Flüchtling. Abhängig von der Zahl der Geflüchteten wird Hessen die Kommunen hierfür mit mindestens weiteren 60 Millionen Euro unterstützten“, kündigte Bouffier an und fügte hinzu, dass auch der Katastrophenschutz bei der Einrichtung von Erstunterkünften vor Ort bereits praktische Hilfe leiste und die hessische Polizei bei der Registrierung von Flüchtlingen helfe.
Das Land hat gemeinsam mit den Kommunen das Erstversorgungszentrum in Frankfurt und weitere Erstunterkünfte in den Landkreisen aufgebaut. Darüber hinaus stehen auch Kapazitäten in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen (EAEH) zur Verfügung. Bisher sind dort über 11.000 Flüchtlinge aus der Ukraine eingetroffen. „Wir haben vorgesorgt und verfügen aktuell über 13.400 Unterbringungsplätze, von denen über 8.100 Plätze derzeit nicht belegt sind. In allen vom Land betriebenen und beauftragten Erstunterkünften wird eine ärztliche und psychologische Betreuung für die Kriegsflüchtlinge bedarfsgerecht aufgebaut“, so Ministerpräsident Bouffier.
Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir wies darauf hin, dass viele aus der Ukraine geflüchteten Menschen privat bei Verwandten, Freunden und Bekannten unterkommen seien. „Wir dürfen aber nicht davon ausgehen, dass diese Hilfsbereitschaft unbegrenzt andauert. Deshalb ist es unerlässlich, weiter bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, erklärte Al-Wazir. Die sei jedoch nur in bereits bestehenden Gebäuden möglich. Um diesen Prozess zu beschleunigen, habe die Landesregierung viele Bau- und Bauordnungsvorschriften für Bestandsgebäude vorübergehend ausgesetzt.
„Ein weiterer wichtiger Baustein für die Bereitstellung von bezahlbaren Wohnraum ist der Erwerb und die Verlängerung von Belegungsrechten an Bestandwohnungen. Wir werden deshalb kurzfristig unsere Mittel zur Bindungsverlängerung von Sozialwohnungen von 14 Millionen auf 17 Millionen Euro aufstocken und auch die Nassauische Heimstätte in diesem Bereich unterstützen“, kündigte Al-Wazir an.
Geflüchtete Kinder und Jugendliche: Betreuung, Sprache und Schule
Der Aktionsplan des Landes nimmt auch die Kinder und Jugendlichen besonders in den Fokus. Viele von ihnen sind traumatisiert und brauchen eine stabile Umgebung. „Wir wollten nicht, dass sie ihrer Zukunft durch den Krieg beraubt werden. Sie sollen in Hessen Sicherheit, Struktur und Geborgenheit erfahren. Dazu müssen wir kurzfristig und zeitlich begrenzt bereits gesetzlich vereinbarte Standards für die Kinderbetreuung in den Kitas anpassen“, erklärte Ministerpräsident Bouffier.
Konkret bedeute dies, dass die Gruppen in den Kindertageseinrichtungen nach Absprache mit dem örtlichen Jugendamt vorübergehend überbelegt werden dürfen - auch ohne zusätzliche pädagogische Fachkräfte. Die Landesregierung halte zudem an der Verbesserung des gesetzlichen Personalschlüssels in den Kindertageseinrichtungen fest, werde aber Übergangsregelungen für bestehende Einrichtungen mit gültiger Betriebserlaubnis bis zum August 2022 verlängern.
„Es ist wichtig, dass die Kinder nicht auf der Straße groß werden, sondern mit Gleichaltrigen altersgerecht betreut werden und so auch die deutsche Sprache lernen“, betonte Bouffier und ergänzte, dass auch die Sprachförderung im Kindergartenalter über das gleichnamige Landesprogramm gefördert werden könne. Einrichtungen mit nun erhöhtem Sprachförderbedarf könnten Mittel beantragen. Außerdem werde auch die Koordinierungsstelle ,Kinder mit Fluchthintergrund‘, die Kitas und deren Träger berät und von der Karl-Kübel-Stiftung im Landesauftrag betrieben wird, bis 2025 fortgeführt und mit über 400.000 Euro gefördert.
„Das Beherrschen der deutschen Sprache ist der Schlüssel zu einer umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe. Deshalb baut die Landesregierung nicht nur im Bereich der Kinderbetreuung, sondern auch in der Schule viele Maßnahmen zur Sprachförderung systematisch und zeitnah im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen aus“, erklärte Ministerpräsident Bouffier. Fast 7.100 ukrainische Schülerinnen und Schüler seien bis Anfang Mai an Hessens allgemein- und berufsbildenden Schulen aufgenommen worden und die Zahl werde weiter steigen.
Der Aktionsplan der Landesregierung sieht für ukrainische Flüchtlingskinder, die im nächsten Jahr schulpflichtig werden, die Teilnahme als Seiteneinsteiger in Vorlaufkursen vor. Bereits schulpflichtige Grundschulkinder werden in Intensivklassen aufgenommen und gezielt in 18 Wochenstunden in Deutsch gefördert. In Ausnahmefällen können sie auch direkt in die Regelklasse kommen. Insofern die Möglichkeiten vor Ort gegeben sind, kann ein ergänzender Unterricht in ukrainischer Sprache mit vier Wochenstunden angeboten werden.
Ukrainische Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren an allgemeinbildenden Schulen werden in Intensivklassen aufgenommen und 22 Stunden in der Woche gefördert. Im Bedarfsfall wird die Teilnahme am freiwilligen Online-Unterricht in ukrainischer Verantwortung ermöglicht. Mit Ende des ukrainischen Schuljahrs Ende Mai, können auch sie je nach Möglichkeiten vor Ort, an einem ergänzenden Unterricht in ukrainischer Sprache teilnehmen. Auch Jugendliche über 16 Jahren an beruflichen Schulen werden in Intensivklassen aufgenommen und erhalten 16 Wochenstunden Deutschförderung. Auch hier soll die Teilnahme an einem freiwilligen digitalen Unterricht in ukrainischer Sprache ermöglicht werden.
„Wir sind uns bewusst, dass diese Vorhaben einen Kraftakt für viele Kindertageseinrichtungen und Schulen darstellen. Deshalb werden wir uns mit einer breitgefächerten Informationskampagne auch um pädagogisch ausgebildetes Fachpersonal und Lehrkräfte aus der Ukraine bemühen“, kündigte Ministerpräsident Bouffier an. Auch die Staatlichen Schulämter hätten als erste schulische Anlaufstelle eine wichtige Rolle bei der Beratung und Aufnahme der Kinder und Jugendlichen und würden deshalb personell verstärkt“, so Bouffier weiter.
Unterstützung für Studierende, Lehrende und Forschende
Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) geht von bis zu 100.000 ukrainischen Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus, die ihr Studium bzw. ihre akademischen Vorhaben in Deutschland beginnen oder weiterführen wollen. Hessen stellt etwa zehn Prozent der bundesweiten Studienplatzkapazitäten. „Auch hier wollen wir unseren Beitrag leisten und unseren HessenFonds von aktuell 1,3 Millionen Euro auf zwei Millionen Euro aufstocken. Hiermit werden vor allem Stipendien und Beratung ermöglicht und Sprachangebote unterbreitet“, kündigte Bouffier an. Zudem sei der Notfonds an den Hochschulen des Landes für in Not geratene ausländische Studierende bereits finanziell verdoppelt worden. Für die vier hessischen Studienkollegs würden in den kommenden vier Jahren je 400.000 Euro zusätzlich bereitgestellt. „Mit einem Brückenprogramm Hessen-Ukraine werden wir Lehr- und Kooperationsprojekte für ukrainische Studierende und digitale Lehrangebote fördern. Hier wird das Land 300.000 Euro sowie weitere Mittel des Digitalpakts Hochschulen bereitstellen“, so Bouffier.
Integration in die Arbeitswelt und Sprachförderung für Erwachsene
Laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit sind die erwachsenen Ukrainerinnen und Ukrainer größtenteils sehr gut ausgebildet. Etwa jeder zweite von ihnen verfügt entweder über eine akademische Ausbildung, ist wissenschaftlich ausgebildet oder besitzt den Fachschulabschluss, der mit der dualen Ausbildung in Deutschland vergleichbar ist. „Viele ukrainische Flüchtlinge wollen in Deutschland arbeiten und für sich selbst sorgen. Sie haben auch das Recht zur Arbeitsaufnahme. Mit geeigneter Unterstützung dürften sie schnell Anschluss an den deutschen Arbeitsmarkt finden“, schätzt Tarek Al-Wazir die Chancen der Flüchtlinge ein. Voraussetzung dafür sei neben den Sprachkenntnissen jedoch auch die schnelle und einheitliche Anerkennung von ukrainischen Berufs- und Bildungsabschlüssen. „Hessen wird sich in Abstimmung mit den Ländern beim Bund dafür einsetzen und dafür Sorge tragen, dass entsprechende Anträge zur Anerkennung beim Regierungspräsidium Darmstadt schnell und unbürokratisch bearbeitet werden“, sagte Al-Wazir.
Um die geflüchteten Menschen weiter zu unterstützen seien auch hessische Arbeitsmarktprogramme für die Förderung von Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen geöffnet worden. Zur schnellen Arbeitsaufnahme seien aber auch gute Kenntnisse der deutschen Sprache wichtig. „Wir werden deshalb das Budget für das Landesprogramm ,MitSprache – Deutsch4U‘ um eine Million Euro jährlich erhöhen. Damit können weitere 80 Deutschkurse angeboten werden. Auch im Rahmen des ,Ausbildungs- und Qualifizierungsbudgets‘ werden wir zusätzliche Mittel bereitstellen“, kündigte der Wirtschaftsminister an.
Unterstützung des Ehrenamts
Hessen unterstützt und fördert seit jeher viele ehrenamtliche Initiativen und Strukturen vor Ort in den Landkreisen und Kommunen. „Die Landesregierung weiß um den hohen Wert des Einsatzes der vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer bei der Unterstützung für die ukrainischen Kriegsflüchtlinge. Deshalb werden wir im Rahmen des Aktionsplans die Mittel für die kommunalen „WIR-Vielfaltszentren“ erhöhen. Damit sollen unter anderem Integrationslotsinnen und -lotsen für die gezielte Beratung ukrainischer Flüchtlinge weiter qualifiziert werden“, sagte Ministerpräsident Bouffier.